Auswan­de­rer­bahn­hof Ruhle­ben

In der 2. Hälfte des 19. Jh. nahm die Migra­tion in Europa deut­lich zu. Über 4 Mio. Deut­sche wander­ten nach Nord­ame­rika aus. Zusätz­lich kamen aus Zentral- und Osteu­ropa fast 5,5 Mio. Menschen, deren Weg über Deutsch­land führte.

Es war eine große Armuts­mi­gra­tion von Landarbeiter(inne)n aus dem Balti­kum, Polen, Öster­reich-Ungarn und Osteu­ropa sowie auch aus poli­ti­schen und natio­nal-reli­giö­sen Grün­den. Ab 1870 setzte eine jüdi­sche Massen­flucht aus dem Zaren­reich ein. Die dorti­gen Pogrome waren reli­giös, sozial und zuneh­mend rassi­stisch moti­viert, teilw. mit Unter­stüt­zung oder gar auf Geheiß des Staa­tes.

Auswanderer bei Berlin 1884
Auswan­dernde, Gemälde von Hubert von Herkom­mer (1884).
Die Auswan­de­rin­nen und Auswan­de­rer schiff­ten nicht bei osteu­ro­päi­schen Reede­reien ein, sondern vor allem beim Nord­deut­schen Lloyd

in Bremen und der HAPAG in Hamburg. Dabei konn­ten sie das sehr gute Eisen­bahn­netz zu den Seehä­fen nutzen. Die Reede­reien hatten Agen­tu­ren, die wie heute Reise­un­ter­neh­men, Infor­ma­ti­ons­bro­schü­ren bereit­stell­ten sowie Infor­ma­tio­nen und Dienst­lei­stun­gen vermit­tel­ten.

Auswanderer im Auswanderbahnhof Ruhleben
Auswan­der­bahn­hof Ruhle­ben. Zeich­nung von Werner Zehme (1897).

Berlin war Knoten­punkt der Eisen­bahn und viele Auswan­dernde kampier­ten hier und in der Umge­bung, oft im Freien, um Über­nach­tungs­ko­sten zu sparen. Mit der Eröff­nung der Stadt­bahn, 1882, kamen sie bis nach Span­dau, wo sie auf große Ableh­nung stie­ßen. 1890 wurde deshalb am Bhf. Char­lot­ten­burg eine zentrale Sammel­stelle einge­rich­tet. Hygie­ni­sche Beden­ken und Angst vor der Ausbrei­tung von Krank­hei­ten ebenso wie rassi­sti­sche Vorbe­halte veran­lass­ten die Planung einer geson­der­ten Einrich­tung außer­halb des Sied­lungs­ge­biets.

Stadtplan von Spandau und Ruhleben (1901), in der Mitte Ausländerbahnhof
Span­dau und Ruhle­ben 1901. Stadt­ge­schicht­li­ches Museum Span­dau.

Dies war dann der 1891 eröff­nete “Auswan­der­bahn­hof Ruhle­ben” an der Frei­heit Nr. 42/43. Dort wurde kontrol­liert, ob die Auswan­de­rin­nen und Auswan­de­rer genü­gend Geld hatten, und sie wurden genö­tigt, sich eine Fahr­karte zur Weiter­fahrt zu kaufen. Nach der Cholera-Epide­mie in Hamburg 1892, für die sie verant­wort­lich gemacht wurden, muss­ten sie zudem medi­zi­nisch unter­sucht werden.

Einige Hundert Migrant(inn)en durch­lie­fen den Auswan­de­rer­bahn­hof täglich, insge­samt waren es über eine Million. Aber in Berlin gab es dennoch keine Epide­mie, was aller Wahr­schein­lich­keit an der hygie­ni­schen Wasser­ver- und ‑entsor­gung lag, die die Berliner/innen Rudolf Virchow und James Hobrecht verdank­ten. Die Kosten für eine derar­tige Wasser­wirt­schaft hatte man in Hamburg gespart und sich damit wohl dem Risiko einer Epide­mie ausge­setzt, die dann 1892 auch ausbrach.   

Der Gene­ral­di­rek­tor der HAPAG, Albert Ballin ließ eine Auswan­de­rungs­halle bauen, in der die Gesund­heit der Auswan­dern­den geprüft wurde. Wer nämlich krank in Amerika ankam, wurde nicht einge­bür­gert, sondern die Reede­rei musste dieje­ni­gen, wenn sie kein Geld hatten, auf eigene Kosten wieder zurück­brin­gen. Die „Ball­in­Stadt – das Auswan­de­rer­mu­seum Hamburg“ ist nunmehr in dieser ehema­li­gen Auswan­der­er­halle unter­ge­bracht. Die Doku­men­ta­tion und die Erläu­te­run­gen des Muse­ums sind ausführ­lich und verständ­lich darge­stellt; dort entdeckte ich auch den Hinweis auf Ruhle­ben

Pässe für die Auswan­de­rung waren recht teuer, insbes. in Russ­land: 30 Rubel plus 70 Rubel Schmier­geld, das sind etwa 1750 €. Nur ein Zehn­tel musste man für gefälschte Papiere zahlen, jedoch mit hohem Risiko erwischt zu werden. Staat­li­cher­seits versuchte man, diesen Schleu­ser­ge­schäf­ten einen Riegel vorzu­schie­ben, wie eine Fest­nahme eines Betrü­gers zeigt, der gefälschte Pässe verkau­fen wollte.

Festnahme eines Betrügers mit Ausreisedokumenten
Fest­nahme eines Betrü­gers. Zeich­nung: Werner Zehme (1897).

1900 wohn­ten über 2 ^Mio. Menschen in Berlin und Char­lot­ten­burg, auch Span­dau dehnte sich aus. Die Flächen dazwi­schen wurden indu­stri­ell benö­tigt. Und in Ruhle­ben wurde eine Trab­renn­bahn errich­tet, direkt neben dem Auswan­de­rer­bahn­hof.

Doch dieses Elend der ihnen frem­den Migrant(inn)en und vor allem der Ostju­den woll­ten die bürger­li­chen Besucher(inne)en nicht sehen. Dies macht die folgende Warnung der Staats­bür­ger-Zeitung deut­lich.

Warnung der Staatsbürger-Zeitung vor Juden
Warnung der Staats­bür­ger-Zeitung vor Juden, 25. 4. 1900.

Wie so oft wurde seuchen­hy­gie­nisch argu­men­tiert, die Auswan­de­rin­nen und Auswan­de­rer soll­ten keine Cholera- oder Thyphu­s­epi­de­mien auslö­sen, obgleich nichts darauf hinwies, wie die Span­dauer Debatte über die Verle­gung zeigte:

Berliner Lokalanzeiger über Auswanderer und Seuchen
Berli­ner Lokal­an­zei­ger über Auswan­de­rer und Seuchen, 2. 9. 1910.

Es gab Prote­ste und der Bahn­hof sollte nun nach Wuster­mark verlegt werden, was dann auf Grund des Beginns des 1. Welt­kriegs unter­blieb. Während des Krie­ges diente das Lager für die Reserve und im Laza­rett wurden erkrankte briti­sche Inter­nierte behan­delt.

Danach war es Auffang­la­ger für Deut­sche, die nicht in die an Polen abge­tre­te­nen Gebiete, wie z.B. dem polni­schen Korri­dor, zurück­keh­ren woll­ten und die dann auf Grund der großen Wohnungs­not in Berlin oft jahre­lang dort wohn­ten. Von den Nazis wurden Auswan­de­rer­bahn­hof und Trab­renn­bahn gewerb­lich für die Panzer­pro­duk­tion genutzt.

Nach 1945 blieb es bei der gewerb­li­chen Nutzung, einige Wohnun­gen wurden erhal­ten, anson­sten verfie­len die Baracken. 2010 wurde ein erhal­ten geblie­be­ner Massiv­bau unter Denk­mal­schutz gestellt.

Letzte Baracke des Ausländerbahnhofs
Letzte Baracke des Auslän­der­bahn­hofs Ruhle­ben. Foto: Chri­stian Schöl­ler (2008).

In den 80er Jahren begann man sich im Rahmen von Ausstel­lun­gen und Jugend­pro­jek­ten mit der Geschichte des Auslän­der­bahn­hofs zu beschäf­ti­gen und diese auf Dauer zu präsen­tie­ren. Die öffent­li­che Hand wurde nicht initia­tiv, die Gebäude zerfie­len und so hoben die Denk­mal­schutz­be­hör­den des Bezirks Span­dau und des Landes Berlin einver­nehm­lich den Denk­mal­schutz auf und gaben die letz­ten Hallen zum Abriss frei. Dies geschah 2013.

Die Span­dauer Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung und das Bezirks­amt erfuh­ren dies aus der Presse. Sie hatten mitt­ler­weile einen einstim­mi­gen Beschluss für eine Dauer­aus­stel­lung gefasst und das Berli­ner Centrum Judai­cum mit einer Mach­bar­keits­stu­die beauf­tragt. Dies alles war nun Maku­la­tur.

Ein Jahr später begann die große Flücht­lings­krise mit über einer Million Flücht­lin­gen 2015/16.
Anders­ar­tige Menschen wurden früher und werden auch heute oft als Quell von Krank­hei­ten, Krimi­na­li­tät und als Konkur­renz gese­hen.
Man kann sie jedoch auch als Menschen sehen mit Sehn­sucht nach ein wenig Glück, sozia­ler Sicher­heit und Frei­heit,

Ein Jahr später begann die verstärkte Flücht­lings­zu­wan­de­rung mit über einer Million Flücht­lin­gen 2015/16.
Auch hier ist es so, dass fremde Menschen als Quell von Krank­hei­ten, Krimi­na­li­tät und als Konkur­renz gese­hen werden.

Tatsäch­lich sind Flücht­linge jedoch unend­lich arme, schier verzwei­felte Menschen mit einem Rest an Sehn­sucht nach ein wenig Glück, sozia­ler Sicher­heit und Frei­heit.

Das kann an der Geschichte von Auslän­der­bahn­hö­fen und Sammel­la­gern sehr deut­lich gemacht werden. Weil in Ruhle­ben alles vernich­tet wurde und keine Spuren mehr zu sehen sind, habe ich die Geschichte ausführ­li­cher darge­stellt.

Die medi­zi­ni­sche inten­si­vierte Unter­su­chung in Ruhle­ben geschah auf Druck der Hambur­ger nach ihrer selbst­ver­schul­de­ten Chole­ra­epi­de­mie.

Die Verschie­bung von Proble­men mit Migrant(inn)en auf andere Orte ruft in mir das Wissen um die AnkER-Zentren wach. Ankommen-Erfas­sen-Rückfüh­ren von Flücht­lin­gen sollen heut­zu­tage die geplan­ten Zentren in Libyen und Tune­sien tun. Berich­tet wird aus Libyen von push-backs, die Boote in die See zurück­ja­gen, und aus Tune­sien der Vertrei­bung in die Wüste, wie einst die Here­ros und Arme­nier. Dies soll die Zahl der Flücht­linge in Deutsch­land eindäm­men.