Auswandererbahnhof Ruhleben
In der 2. Hälfte des 19. Jh. nahm die Migration in Europa deutlich zu. Über 4 Mio. Deutsche wanderten nach Nordamerika aus. Zusätzlich kamen aus Zentral- und Osteuropa fast 5,5 Mio. Menschen, deren Weg über Deutschland führte.
Es war eine große Armutsmigration von Landarbeiter(inne)n aus dem Baltikum, Polen, Österreich-Ungarn und Osteuropa sowie auch aus politischen und national-religiösen Gründen. Ab 1870 setzte eine jüdische Massenflucht aus dem Zarenreich ein. Die dortigen Pogrome waren religiös, sozial und zunehmend rassistisch motiviert, teilw. mit Unterstützung oder gar auf Geheiß des Staates.
in Bremen und der HAPAG in Hamburg. Dabei konnten sie das sehr gute Eisenbahnnetz zu den Seehäfen nutzen. Die Reedereien hatten Agenturen, die wie heute Reiseunternehmen, Informationsbroschüren bereitstellten sowie Informationen und Dienstleistungen vermittelten.
Berlin war Knotenpunkt der Eisenbahn und viele Auswandernde kampierten hier und in der Umgebung, oft im Freien, um Übernachtungskosten zu sparen. Mit der Eröffnung der Stadtbahn, 1882, kamen sie bis nach Spandau, wo sie auf große Ablehnung stießen. 1890 wurde deshalb am Bhf. Charlottenburg eine zentrale Sammelstelle eingerichtet. Hygienische Bedenken und Angst vor der Ausbreitung von Krankheiten ebenso wie rassistische Vorbehalte veranlassten die Planung einer gesonderten Einrichtung außerhalb des Siedlungsgebiets.
Dies war dann der 1891 eröffnete “Auswanderbahnhof Ruhleben” an der Freiheit Nr. 42/43. Dort wurde kontrolliert, ob die Auswanderinnen und Auswanderer genügend Geld hatten, und sie wurden genötigt, sich eine Fahrkarte zur Weiterfahrt zu kaufen. Nach der Cholera-Epidemie in Hamburg 1892, für die sie verantwortlich gemacht wurden, mussten sie zudem medizinisch untersucht werden.
Einige Hundert Migrant(inn)en durchliefen den Auswandererbahnhof täglich, insgesamt waren es über eine Million. Aber in Berlin gab es dennoch keine Epidemie, was aller Wahrscheinlichkeit an der hygienischen Wasserver- und ‑entsorgung lag, die die Berliner/innen Rudolf Virchow und James Hobrecht verdankten. Die Kosten für eine derartige Wasserwirtschaft hatte man in Hamburg gespart und sich damit wohl dem Risiko einer Epidemie ausgesetzt, die dann 1892 auch ausbrach.
Der Generaldirektor der HAPAG, Albert Ballin ließ eine Auswanderungshalle bauen, in der die Gesundheit der Auswandernden geprüft wurde. Wer nämlich krank in Amerika ankam, wurde nicht eingebürgert, sondern die Reederei musste diejenigen, wenn sie kein Geld hatten, auf eigene Kosten wieder zurückbringen. Die „BallinStadt – das Auswanderermuseum Hamburg“ ist nunmehr in dieser ehemaligen Auswandererhalle untergebracht. Die Dokumentation und die Erläuterungen des Museums sind ausführlich und verständlich dargestellt; dort entdeckte ich auch den Hinweis auf Ruhleben
Pässe für die Auswanderung waren recht teuer, insbes. in Russland: 30 Rubel plus 70 Rubel Schmiergeld, das sind etwa 1750 €. Nur ein Zehntel musste man für gefälschte Papiere zahlen, jedoch mit hohem Risiko erwischt zu werden. Staatlicherseits versuchte man, diesen Schleusergeschäften einen Riegel vorzuschieben, wie eine Festnahme eines Betrügers zeigt, der gefälschte Pässe verkaufen wollte.
1900 wohnten über 2 ^Mio. Menschen in Berlin und Charlottenburg, auch Spandau dehnte sich aus. Die Flächen dazwischen wurden industriell benötigt. Und in Ruhleben wurde eine Trabrennbahn errichtet, direkt neben dem Auswandererbahnhof.
Doch dieses Elend der ihnen fremden Migrant(inn)en und vor allem der Ostjuden wollten die bürgerlichen Besucher(inne)en nicht sehen. Dies macht die folgende Warnung der Staatsbürger-Zeitung deutlich.
Wie so oft wurde seuchenhygienisch argumentiert, die Auswanderinnen und Auswanderer sollten keine Cholera- oder Thyphusepidemien auslösen, obgleich nichts darauf hinwies, wie die Spandauer Debatte über die Verlegung zeigte:
Es gab Proteste und der Bahnhof sollte nun nach Wustermark verlegt werden, was dann auf Grund des Beginns des 1. Weltkriegs unterblieb. Während des Krieges diente das Lager für die Reserve und im Lazarett wurden erkrankte britische Internierte behandelt.
Danach war es Auffanglager für Deutsche, die nicht in die an Polen abgetretenen Gebiete, wie z.B. dem polnischen Korridor, zurückkehren wollten und die dann auf Grund der großen Wohnungsnot in Berlin oft jahrelang dort wohnten. Von den Nazis wurden Auswandererbahnhof und Trabrennbahn gewerblich für die Panzerproduktion genutzt.
Nach 1945 blieb es bei der gewerblichen Nutzung, einige Wohnungen wurden erhalten, ansonsten verfielen die Baracken. 2010 wurde ein erhalten gebliebener Massivbau unter Denkmalschutz gestellt.
In den 80er Jahren begann man sich im Rahmen von Ausstellungen und Jugendprojekten mit der Geschichte des Ausländerbahnhofs zu beschäftigen und diese auf Dauer zu präsentieren. Die öffentliche Hand wurde nicht initiativ, die Gebäude zerfielen und so hoben die Denkmalschutzbehörden des Bezirks Spandau und des Landes Berlin einvernehmlich den Denkmalschutz auf und gaben die letzten Hallen zum Abriss frei. Dies geschah 2013.
Die Spandauer Bezirksverordnetenversammlung und das Bezirksamt erfuhren dies aus der Presse. Sie hatten mittlerweile einen einstimmigen Beschluss für eine Dauerausstellung gefasst und das Berliner Centrum Judaicum mit einer Machbarkeitsstudie beauftragt. Dies alles war nun Makulatur.
Andersartige Menschen wurden früher und werden auch heute oft als Quell von Krankheiten, Kriminalität und als Konkurrenz gesehen.
Man kann sie jedoch auch als Menschen sehen mit Sehnsucht nach ein wenig Glück, sozialer Sicherheit und Freiheit,
Ein Jahr später begann die verstärkte Flüchtlingszuwanderung mit über einer Million Flüchtlingen 2015/16.
Auch hier ist es so, dass fremde Menschen als Quell von Krankheiten, Kriminalität und als Konkurrenz gesehen werden.
Tatsächlich sind Flüchtlinge jedoch unendlich arme, schier verzweifelte Menschen mit einem Rest an Sehnsucht nach ein wenig Glück, sozialer Sicherheit und Freiheit.
Das kann an der Geschichte von Ausländerbahnhöfen und Sammellagern sehr deutlich gemacht werden. Weil in Ruhleben alles vernichtet wurde und keine Spuren mehr zu sehen sind, habe ich die Geschichte ausführlicher dargestellt.
Die Verschiebung von Problemen mit Migrant(inn)en auf andere Orte ruft in mir das Wissen um die AnkER-Zentren wach. Ankommen-Erfassen-Rückführen von Flüchtlingen sollen heutzutage die geplanten Zentren in Libyen und Tunesien tun. Berichtet wird aus Libyen von push-backs, die Boote in die See zurückjagen, und aus Tunesien der Vertreibung in die Wüste, wie einst die Hereros und Armenier. Dies soll die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland eindämmen.