Warthebruch: Kostrzyn nad Odra (Küstrin) — Witnica — Slonsk
Bevor ich anfange, erst einmal eine grammatikalische Anfrage an den Duden: der oder das Bruch?
der und das; -[e]s, Plural Brüche, landschaftlich Brücher (Sumpfland), Morast, Sumpf, (norddeutsch): Fehn; (besonders norddeutsch): Fenn; (süddeutsch, österreichisch, schweizerisch): Moos.
Ich entscheide mich für „das“, weil die dort lebenden Feen meist weiblich sind und das generische Maskulinum eh ein Problem ist.
Die Warty (Warthe) fließt im Thorn-Eberwalder Urstromtal und ist 800 km lang. Auf den letzten 70 km erstreckt sich ab dem Zufluss der Notec (Netze) bei Santok das Blota nadwarcianskie (Warthebruch), es hat eine Fläche von nahezu 32.000 ha und ist damit halb so groß wie das Oderbruch. Das Warthebruch ist bis zu 12 km breit, nördlich des Flusses eingedeicht und südlich mit großen Überschwemmungsgebieten im Bereich der Schutzzone Slonsk (S0nnenburg) geregelt, in denen der Wasserstand um bis zu 4 m schwankt. Im Warthebruch konnte die Trockenlegung nicht so vollständig erfolgen wie im Oderbruch. Im westlichen Ende liegt der 2001 begründete 8.000 ha große Park Narodowy Ujście Warty (Nationalpark Warthemündung).
In dieser Landschaft, ihrer Ruhe und Beschaulichkeit, soll ein ganz großes Projekt angelegt werden. Hier kreuzen sich E30 und E70 des Europäischen Wasserstraßennetzes. Vom Rhein-Maas-Delta soll das Europäische Wasserstraßennetz durch 5 Staaten bis nach Klaipeda (Memel) und an Tschernobyl vorbei bis nach Odessa führen sowie mit der Donau verbunden werden. Es ist wegen der Kosten, des fehlenden Bedarfs, der Unverträglichkeit für die Umwelt und für die menschliche Gesundheit sehr umstritten, auch in den Gremien der EU.
Außer einem kleinen linksseitig der Oder liegendem Teil ging die Neumark nach dem Potsdamer Abkommen 1945 an Polen, das 700 Jahre zuvor im Besitz dieses Gebiets war. Auf dieser Tour traf ich neben einer bezaubernden Natur immer wieder auf historische Zeugnisse der unterschiedlichsten Epochen.
Die Tour hat eine Länge von 100 km, den Streckenverlauf habe ich auf dem Routenplaner komoot veröffentlicht, der kostenfrei genutzt werden kann. Die Tour ist innerhalb eines Tages zu schaffen.
- Will ich mir aber einiges genauer ansehen, dann plane ich eine Übernachtung in Witnica (Vietz), wo ich abends durch den Wegweiserpark schlendern kann.
- Am zweiten Tag sind dann 63 km zurück zu legen. Wer dann lieber eine weitere Übernachtung einplant, sollte dies in Slonsk tun. Dann kann man abends und am nächsten Morgen kurz nach Przyborów radeln und im Nationalpark Warthemündung die Vögel beobachten.
Przybor
Wenn ich in Kostrzyn (Küstrin) angekommen bin, radel ich zunächst zu der Festung Küstrin. Wer sie noch nicht kennt, sollte an ihr nicht vorbeiradeln, sondern sie sich unbedingt ansehen.
Danach geht es zur Warty und ich komme nach 5 km zu der sehr ungewöhnlichen „Der Heiligen Mutter Kirche“. Durch die Glastür konnte ich hineinschauen und war beeindruckt über den nahezu ebenerdigen, egalitären Bau ohne erhöhte Kanzel.
Nach 2 weiteren Kilometern erreiche ich die Pumpstation Warniki und muss das versperrte Tor durch eine seitlich im Zaun angebrachte Tür umgehen, wobei ich über den Kanal Maszówek radle, der aber eigentlich kein Kanal, sondern die ursprüngliche Warty gewesen ist.
Zwischen der ursprünglichen und der neuen, begradigten “Schnellenwarthe” radle ich auf dem Deich. Nach weiteren 19 km, auf der Höhe von Kamien Maly, (Stolberg) war die Spaltung in Alte und Neue Warty. Bei der Alten ist der ursprüngliche geschlängelte Lauf der Warty erhalten geblieben und gut zu erkennen. Wie sich die Flussaue immer wieder verändert, habe ich im Laufe der Jahre wiederholt beobachtet.
Nach weiteren 6 km mache ich einen 3 km langen Abstecher nach Dabroszyn (Tamsel), dessen Schloss eine bemerkenswerte Geschichte aufweist.
Auf Strecke zwischen Dabroszyn und Kamien Maly radelt man, wenn man darauf achtet, an drei aufgelassenen Ortschaften vorbei, nur Steine und eine Infotafel zeugen noch davon: Charlestown, New York und Yorkstown, deren nördlich gelegener Bahnhof Klein-Amerika hieß, Spuren der Friedrichzianischen Politik der Peuplierung und der Besiedelung des Warthebruchs nach seiner Trockenlegung.
In Witnica erreicht man ein von den Templern gegründetes Fischerdorf, jetzt Sitz der Stadt- und Landgemeinde. Im dortigen Wegweiserpark begegne ich der deutsch-polnischen Geschichte in einer Weise, wie ich es bisher nur von dem 2017 noch nicht von der von 2015 bis 2023 amtierenden PiS-Regierung entstellten “Museum des Zweiten Weltkriegs” in Gdansk kennengelernt habe: die Leiden der Anderen erkennen und begreifen und nicht aufrechnen oder relativieren.
Ich fahre weiter entlang der Warty; der Weg führt nun zwischen der begradigten Warty rechterseits und dem Altarm linkerseits, der sich in Mäandern dahinstreckt. Der weitere Weg geht entlang von Altarmen und Entwässerungsgräben und ist bei großer Feuchtigkeit oder Trockenheit gleichermaßen schwierig. Auf der Höhe von Swierkocin (Fichtwerder) führt eine Brücke über die Warty, ich wende dann und trete auf der anderen Seite der Warty die Rückfahrt an. Dabei komme ich durch das Kolonistendorf Boguszyniec (Brückendorf) und dann zu dem 1726 gegründeten Kolonistendorf Oksza (Woxholländer) mit einer komplett als Fachwerkhaus erhaltenen Kirche.
Der weitere Weg geht entlang von Altarmen und Entwässerungsgräben und ist bei großer Feuchtigkeit oder Trockenheit gleichermaßen schwierig. Leichter ist der Weg über die Felder, auf denen ich manchmal weitaus mehr Kraniche sah als im Schutzgebiet – der Mais lockt. Über Budzigniew (Hampshire) gelange ich nach Jamno (Jamaika) mit einer kleinen alten Dorfkirche, die leider geschlossen ist . Es ist das Gebiet von Neu-Amerika mit den alten Kolonistenhäusern. Die Landschaft mit diesen alten kleinen Dörfern versetzen mich 100 Jahre zurück — sehr lieblich.
Wem die Strecke zu lang ist, der kann hier abkürzen und von Jamno direkt nach Slonsk radeln, das sind gut 8 km weniger.
Nach dem kleinen Schlenker über Jamno radel ich über Gluchowo (Woxfelde) mit der höchsgen Kirche im Bruch quer durch das Bruch nach Lemierzyce (Alt Limrimritz). Gleich danach geht es entlang dem Flüsschen Postomia (Postumfließ). Nach 81 km besteht die Möglichkeit in Przyborów rechts abzubiegen und auf einer Sackgasse weit in den Nationalpark Warthemündung hineinzufahren.
Dann kommt Slonsk, Gründungsort und Stammsitz der Johanniter.
Leider ist das auch der Ort eines der ersten KZs. Auf der 3. Lutego (Bundesstraße Nr. 22) biege ich in Richtung Gorzów Wielkopolski (Landsberg) ein, nach 1 km erreiche ich das „Muzeum Martyrologii w Slonsku“. An diesem Ort (zuvor ein ehemaliges Gefängnis) wurde der Nobelpreisträger Carl von Ossietzky zusammen mit anderen oppositionellen Politiker(inne)n zunächst gefangen gehalten. Das Museum ist nur nach Anmeldung zugänglich: muzeum@slonsk.pl, +48 798 602211.
Das letzte Stück nach Kostrzyn nad Odrą hat es in doppelter Weise in sich: Ein Teilstück von 10 km ist sehr verkehrsreich, PKWs und während der Woche Laster. Das neben der Straße liegen gebliebene Schienenbett der nach Norden verlegten Eisenbahn hätte einen sicheren Fuß- und Fahrradweg ergeben (die Verkehrspolitik der Woiwodschaft ist wirklich saumselig und für die Regionalentwicklung gäbe es hinreichend Geld in Brüssel)
Mein TIPP: möglichst nur am Wochenende fahren, wenn weniger Laster unterwegs sind (es gibt keine Alternative).
Andererseits führt die gesamte Strecke an dem Nationalpark Warthemündung entlang. Nach 88 km und 94 km stehen Aussichtstürme mit einem wunderbaren Überblick. Und einen Einblick kann man auch gewinnen. Über ein halbes Dutzend Brücken über den begrenzenden Kanal erlauben, von der Straße abzuweichen und ein deutliches Stück in den Schilfgürtel zu gehen.
VORSICHT: nicht vom Weg abweichen!
Der letzte Weg geht zum Bahnhof und, sollte man auf den Zug warten müssen, empfehle ich den Imbiss am Bahnhof mit wunderbaren Würsten und Pierogi – ich bin schließlich in Polen.
Die kürzere und verkehrsärmere Route
Ich radle von Kostrzyn nach Witnica auf einer kleinen, meist mit einem Fahrradweg ausgestatteten Straße. Nach 6 km komme ich nach Dabroszyn (Tamsel), dessen Schloss eine bemerkenswerte Geschichte aufweist.
In Witnica stoppe ich nicht, ich komme ja noch einmal hierher. Ich setze auf die andere Flussseite mit der Gierfähre nach Klopotowo über. Auf den folgenden 5 km dicht entlang der Warty flussaufwärts komme ich zu dem 1726 gegründeten Kolonistendorf Oksza mit einer komplett als Fachwerkhaus erhaltenen Kirche und bald danach zu dem Kolonistendorf Boguszyniec. Auf der Höhe von Swierkocin führt eine Brücke über die Warty, ich wende dann und trete die Rückfahrt nach Witnica an. Der Weg führt nun zwischen der begradigten Warty linkerseits und dem Altarm rechterseits, der sich in Mäander dahinstreckt. Der weitere Weg geht entlang von Altarmen und Entwässerungsgräben und ist bei großer Feuchtigkeit oder Trockenheit gleichermaßen schwierig.
Ich bin wieder in Witnica. Im dortigen Wegweiserpark begegne ich der deutsch-polnischen Geschichte in einer Weise, wie ich es nur von dem 2017 noch nicht von der von 2015 bis 2023 amtierenden PiS-Regierung entstellten “Museum des Zweiten Weltkriegs” in Gdansk kennengelernt habe: die Leiden der Anderen erkennen und begreifen und nicht aufrechnen oder relativieren.
Der weitere Tourverlauf nach Kostrzyn geht ganz anders als bei der Hinfahrt dicht entlang der Warty. Ich radel dabei an drei aufgelassenen Ortschaften vorbei, nur Steine und eine Infotafel zeugen noch davon: Charlestown, New York und Yorkstown, deren nördlich gelegener Bahnhof Klein-Amerika hieß, erneut Spuren der friedrichzianischen Politik der Peuplierung und der Besiedelung des Warthebruchs nach seiner Trockenlegung.
Auf der Höhe von Kamien Maly, war die Spaltung in Alte und Neue Warty. davon ist der ursprüngliche geschlängelte Lauf der Warty erhalten geblieben und gut zu erkennen. Wie sich die Flussaue immer wieder verändert, habe ich im Laufe der Jahre wiederholt beobachtet. Auf den zwischen der ursprünglichen und der neuen, begradigten “Schnellenwarthe” geht der Weg weiter. Dann überquere ich den Kanal Maszówek, der aber eigentlich kein Kanal, sondern die ursprüngliche Warty gewesen ist, erreiche die Pumpstation Warniki und muss das versperrte Tor durch eine seitlich im Zaun angebrachte Tür umgehen.
In Kostrzyn verlasse ich die Warty und komme an der sehr ungewöhnlichen „Der Heiligen Mutter Kirche“ vorbei. Durch die Glastür konnte ich hineinschauen und war beeindruckt über den nahezu ebenerdigen, egalitären Bau ohne erhöhte Kanzel.
Wer die Festung Küstrin noch nicht kennt, sollte an ihr nicht vorbeiradeln, sondern sie sich unbedingt ansehen.
Der letzte Weg geht zum Bahnhof und, sollte man auf den Zug warten müssen, empfehle ich den Imbiss am Bahnhof mit wunderbaren Würsten und Pierogi – ich bin schließlich in Polen.
Die nächsten Touren:
Anstehende Veranstaltungen
Wer über geplante Touren informiert werden möchte, melde sich bitte bei info(at)radtouren.info an. Die Anschriften werden nicht weitergereicht und es erfolgen ausschließlich Informationen über geplante Fahrradtouren.
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Viel von dem hier Berichteten wird detaillierter in der GAZETA Warta | PERSPEKTIVEN EINER (GRENZ)REGION dargestellt.
Mit dem provakanten Aufmacher “Gibt es ein polnisches Oderbruch?” beginnt diese Projektzeitung. Sie wurde in der Zeit vom 27.–30. September 2020 im Rahmen einer Sommerschule des Oderbruch Museums Altranft, der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde und der Fachhochschule Potsdam in Słońsk (Polen) erarbeitet.