Sauener Wald von August Bier
In Berlin entwickelten sich seit 1890 in den Randbereichen und in Berlin alternative Heilmethoden. Mitte des 19. Jhs. war die alte Lehre der Körpersäfte (Humoralpathologie) zu Ende gegangen, Bakteriologie, Impfung und Operation samt Laborforschung wurden Herangehensweisen. Das Verhältnis Arzt – Patient verschob sich zu ersterem, die Bedeutung der Seele nahm ab. Es blieb aber eine Kluft zwischen Theorie und Praxis. Kaiser Friedrich Wilhelm konnte auch von den Spitzen der deutschen Medizin nicht gerettet werden; TBC, Krebs und Syphilis blieben unheilbar.
Die Zellularpathologie von Rudolf Virchow (Krankheit als Störung der Zellen des Körpers, Basis der wissenschaftlichen Medizin) war der entscheidende Gabelungspunkt gewesen. „Ich (Virchow) habe so viele Leichen seziert und nie eine Seele gefunden.“
Er ist aber kein der Pharmazie verbundener Mediziner gewesen, sondern für ihn war „Medizin … eine soziale Wissenschaft“, er widmete sich dem öffentlichen Gesundheitswesen und als Politiker kultureller Freiheit („Kulturkampf“) und kämpfte gegen preußische Kriegstreiberei.
In der Gegenreform hierzu beteiligten sich folglich nicht nur Ärzte sondern konsequenterweise viele Nicht-Ärzte. Diese alternative Gegenbewegung war sehr vielfältig, beispielsweise Hydrotherapie, Homöopathie, Vegetarismus, weniger Fleisch, weniger Konserven (1893 Gründung Obstbaukolonie Eden). Die Menschen sollten gesund bleiben, es ist eine prophylaktische Haltung, Sonne, Bewegung an der Luft und im Wasser waren angesagt.
Es gab eine Fülle von Therapiemethoden: Genitalmassage gegen Hysterie, operationslose Frauenheilkunde, Hydrotherapie (Kneipp, Gesundbrunnen, Bad Saarow annoncierte im „Naturarzt“ die Möglichkeit von Schwimmunterricht), Suggestionstherapie und Selbstoptimierung, Gymnastik. Auch diese Vertreter engagierten sich politisch, gegen zu hohe Mieten und die Strafbarkeit der Homosexualität.
Ausgerechnet ein Chirurg griff hier ein: August Bier (1861–1949). Er hatte 5.000 Menschen operiert und wurde später „Titan der Chirurgie“ genannt, er entwickelte die Spinalanästhesie, Regionalanästhesie, die Lumbalpunktion sowie als Militärarzt den deutschen Stahlhelm M 1916. Bier propagierte Heilgymnastik und Sport und empfahl die Ablehnung der Homöopathie aufzugeben, sie naturwissenschaftlich zu unterfüttern und in die klinische Arbeit zu überführen sowie sich mit der Seele auseinanderzusetzen.
51-jährig kaufte er nicht weit vom Scharmützelsee entfernt ein Waldgut in Sauen (slaw. Sawen = in etwa Eulenbusch, nicht Wildschwein). Einen Kiefernforst auf minderwertigem Grund wollte er in einen standortgerechten Mischwald umbauen.
Wie kommt ein hoch angesehener und erfolgreicher Chirurg 51 Jahre alt dazu, es nun als Förster zu versuchen? August Bier hatte aus seiner Jugendzeit eine enge Beziehung zum Wald und diesbezügliche Kenntnisse. Sein Denken über die dynamische Funktion von Gegensätzen konnte er aus ethischen Gründen nicht in der Medizin verwirklichen (das wären Menschenversuche), was umso schwerer schmerzte, als die Grenzen der Schulmedizin in dieser Zeit sichtbar wurden. In der Lebensgemeinschaft des Waldes, ihrer starken Vernetzung, dort konnte er dies jedoch tun.
• Die Ähnlichkeit ist verblüffend. Gut 100 Jahre zuvor hatte der Celler Arzt Albrecht Thaer, hoch anerkannt, Leibarzt des Britischen Königs, 52-jährig seinen Beruf als Arzt aufgegeben, der immer nur Leid sah und nie die Wurzel des Übels bekämpfen konnte. Er widmete sich nun der Lebensmittelproduktion und begründete die Rationelle Landwirtschaft.
• Viele der Besucher Biers, die sich seinen Waldumbau ansahen, besuchten dann die neue biodynamische Landwirtschaft auf dem Hof Marienhöhe – was lag denn näher?
Diesen Waldumbau plante Bier dialektisch nach den Ideen des vorsokratischen Philosophen Heraklit: Alles fließt und Gegensätze fügen sich zur Harmonie. So wurden Flachwurzler gegen Tiefwurzler, Laubbäume gegen Nadelbäume und Stickstoffnutzer gegen Stickstoffbildner gepflanzt. Ein Mischwald mit Traubeneichen, Rotbuchen, Bergahorn und Linde, aber auch standortfremde Fichten und Douglasien gesetzt. Es entstand ein vielfältig zusammengesetzter Mischwald von Laub- und Nadelbäumen. Dem Waldrand als „warmen Rock des Waldes“ widmete sich Bier insbesondere.
Entwicklungsziele sind u.a.: kein Kahlschlag, Pflegebetrieb mit stabilen Beständen und Strukturierung des Waldränder, Naturverjüngung, gesteuerte Wildbewirtschaftung, Vorratspflege von ca. 300 Volumen Festmeter auf einem Hektar
Der Erfolg dieses Waldumbaus kann auf einem markierten Rundweg mit 11 Stationen betrachtet werden. Einen Audioguide kann man sich sparen, er kann auf mein Mobile heruntergeladen werden.
