Möglin — Oder­bruch — West­pom­mern — Nieder­fi­now

Die körper­li­chen Anstren­gun­gen mindernd star­tet die Tour nahe ihrem höch­sten Punkt, dem S‑Bhf. Straus­berg-Nord. Das ist noch nicht das Oder­bruch, sondern die Hoch­flä­che des Barnim, auf der es zunächst kurz über einen Sander auf die Grund­mo­räne hoch und dann weiter nach Möglin geht.

Die Fahr­rad­tour hat eine Länge von 112 km und ihren Verlauf habe ich auf dem Routen­pla­ner komoot veröf­fent­licht, der kosten­frei genutzt werden kann.

Wer die Museen, die Orte und die Land­schaft sich anse­hen will, schafft das nicht an einem Tag, ich jeden­falls nicht. Die halbe Strecke habe ich in Zoll­brücke zurück gelegt, wo ich oder in den benach­bar­ten Orten über­nach­ten kann.

Hier kann ich einen weite­ren Tag einle­gen und einen 42 km langen Ausflug in die Neumarkt auf dem Rund­kurs nach Moryń, in dem einst viele Acker­bür­ger lebten, und dem  dorti­gen gleich­na­mi­gen See machen. Zurück geht es auf dem Oder­bahn­rad­weg der frühe­ren Wrie­ze­ner Bahn nach Chojna und über die für Fußgän­ger und Radler wieder herge­stellte und sehr zu epfeh­lende Euro­pa­brücke Neurüd­nitz-Siekierki und dabei Wasser­vö­gel in der Fluss­aue der Oder beob­ach­ten.
Der Abend steht dann für einen  Besuch im östlich­sten Thea­ter Deutsch­lands, dem Thea­ter am Rand, frei zur Verfü­gung.

Möglin ist ein klei­nes Nest, ich kenne nieman­den aus dem Bereich der Biowis­sen­schaf­ten, dem der Ort bekannt war, mich einge­schlos­sen. Der bedeu­tende briti­sche Histo­ri­ker David Black­bourn machte mich in seinem Buch „Die Erobe­rung der Natur“ darauf aufmerk­sam, mir gingen die Augen über; es ist die Rede von Albrecht Thaer.

Albrecht Thaer gilt als Begrün­der der Agrar­wis­sen­schaf­ten, viel­leicht der Karl Marx der Bauern. Das ist nicht so daher­ge­re­det, orien­tierte er sich doch wie dieser eben­falls an dem schot­ti­schen Natio­nal­öko­no­men Adam Smith und nahm mit der von ihm entwickel­ten Ratio­nel­len Land­wirt­schaft direkt Bezug auf ihn. Und mit der Forde­rung der Abschaf­fung der Leib­ei­gen­schaft war er auch für die Befrei­ung der Menschen von feuda­ler Abhän­gig­keit, den unge­rech­ten und inef­fek­ti­ven Zwän­gen. Dies ist in der sehr gut kura­tier­ten Ausstel­lung Albrecht Thaer in Möglin zu sehen.

2 km hinter Möglin errei­che ich die Frank­fur­ter Eisrand­lage, das Ende der Barni­mer Hoch­flä­che und den Rand zum Oder­bruch, des Thorn-Ebers­wal­der Urstrom­tals, es geht von einer Höhe von 60 m über NHN steil bergab auf 9 m über NHN nach Kuners­dorf. In dem zerstör­ten Schloss von Kuners­dorf lebte Frau von Fried­land, eine unge­wöhn­li­che Frau. Albrecht Thaer besuchte sie zusam­men mit dem befreun­de­ten v. Itzen­plitz, ihrem Schwie­ger­sohn, und fasste bei einem erneu­ten Besuch dort den Plan, sich in dem nicht weit entfern­tem Möglin nieder­zu­las­sen. Ein Denk­mal des Natur­for­schers und Dich­ters Adel­bert von Chamisso zeugt noch von der frühe­ren Schloss­an­lage, in der er  den Schle­mihl schrieb. Im benach­bar­ten Kuners­dor­fer Musen­hof befin­den sich zwei unter­schied­li­che, jedoch ergän­zende Ange­bote:


  1. das wirk­lich gut kura­tierte Chamisso-Museum, ich habe da schon viel Zeit verbracht, und
  2. 
das Cham­Café, ich schaue erst­mal im Inter­net nach, was gerade ange­bo­ten wird, bevor ich das Ange­bot den von mir geschmier­ten Provi­ant­bro­ten vorziehe (Cham ist das offi­zi­elle Kürzel für die Benen­nung von von Chamisso  entdeck­ten Pflan­zen­ar­ten).

Nach jeweils etwa 5 km folgen:
Neutreb­bin,  dem größ­ten Kolo­ni­sten­dorf mit einer von Schin­kel erbau­ten Kirche,
Wusche­wier, dort steht das älte­ste Schul- und Bethaus, eine von Fried­rich dem Großen gefor­derte Kombi­na­tion,
und Siet­zing mit eine Kirche,
die beiden lezten sind nach Anmel­dung zu besich­ti­gen.

In Neutreb­bin ist oft nur die einzige Möglich­keit, Back­wa­ren und Getränke zu kaufen, danach erst evt. in Neuliet­ze­gö­ricke und dann in Zoll­brücke.

Das waren drei Orte nahe dem West­rand des Bruchs. Weiter radle ich durch das Bruch mit Acker­bau, Gründ­land und Getrei­de­fel­dern sowie leider ener­ge­tisch genutz­ter Biomas­sen­pro­duk­tion, aber auch mit frei­lau­fen­den Rindern und eini­gen Pfer­den. Immer wieder stoße ich auf Teile von Altarmen des frühe­ren Oder­ver­laufs. Wasser­ge­flü­gel und Greif­vö­gel sind häufig zu beob­ach­ten. 

Der Weg führt nun durch Groß­bar­nim, Altle­win, vorbei an Thörings­wer­der durch Beau­re­gard (franz. aus der Zeit der Zuwan­de­rung) über die alte Oder nach Altwrie­zen. Dies Dorf ist fast ein halbes Jahr­tau­send älter als Berlin. Ich staunte nicht schlecht, als ich das erste Mal nach Über­que­ren der Oder 10 m hoch radeln musste. Die Slawen siedel­ten nicht einfach im Sumpf, sondern hatten sehr wohl gepflegte und klug ange­legte Orte. Wie Warf­ten der Frie­sen liegt  auch Altwrie­zen ober­halb der Hoch­was­ser­kante.

Nun geht es die Alte Oder, in dem Bereich Güste­bie­ser Alte Oder genannt, fluss­auf­wärts. Es ist sehr schön und immer wieder träume ich, dass es so wohl ursprüng­lich aussah. Ich wech­sel dann auf Grund des recht rauen Bodens die Seite, radle also rechts (in Fließ­rich­tung geschaut links­sei­tig) bis zur Höhe von Karls­dorf und biege dort links ab. Das Dorf ist klein, bald gelange ich nach Neuliet­ze­gö­ricke. Es ist das erste, bei der Trocken­le­gung des Oder­bruchs 1753 gegrün­dete Kolo­ni­sten­dorf, das Gegen­stück zu Altwrie­zen. Man kann eini­ges dort sehen, die Geschichte ist mit Infor­ma­ti­ons­ta­feln gut doku­men­tiert.

Die letzte Etappe bis zur Oder, also der Neuen Oder, ist kurz. Sie führt nach Zoll­brücke, der Name verrät es, eine frühere Brücke über die Oder mit Brücken­zoll. Dort resi­diert das östlich­ste Thea­ter Deusch­lands, das Thea­ter am Rand. Die Oder ist ein bemer­kens­wer­ter Strom, über Hunderte von Kilo­me­tern ist sie durch­gän­gig und können die Tiere bis zum Meer wandern, einma­lig unter den euro­päi­schen Flüs­sen.

 

Fluss­auf­wärts geht es dann zur Güste­bie­ser Loose. Das letzte Stück radle ich über die “Lici­goe­ricker Wiesen” (s. Gene­ral­plan der Oder und der Neuen Oder), über­quere die Alte Oder an ihrem Beginn, am Denk­mal für Viadrus vorbei zum Anle­ger. Jedoch ist dieser Flecken weit­aus mehr als ein Anle­ger, es war der entschei­dende Ort gewe­sen, an dem der Durch­stich zur Neuen Oder mit dem Ziel der Trocken­le­gung des Oder­bruchs erfolgte.

Die Erin­ne­run­gen an die Geschichte, die lieb­li­che Natur der Alten Oder, all das erlischt, über­quere ich die Oder. Ich gelange nach Gozdo­wice, das Museum des Andenkens an die Pioniere steht gleich beim Anle­ger, es erin­nert an das Kriegs­ende und mich an die Befrei­ung meiner Eltern und von mir, es ist lange her und ich bin immer noch tief­be­wegt.

Die Plaka­tie­rung ist zwar polnisch, im Museum sind die Tafeln jedoch drei­spra­chig beschrif­tet und die Mitarbeiter/innen spre­chen meist Deutsch.

Ich bin nun in der Woiwod­schaft West­pom­mern, dieser Teil der Woiwod­schaft gehörte früher zusam­men mit dem Oder­bruch zur Neumark. Am Rande des Oder­bruchs und teil­weise schon ein wenig auf der Grund­mo­räne geht es nun nach Norden mit Stei­gun­gen von bis zu 6%, doch nur 1,4 km lang bis auf eine Höhe von 42 m.

Der näch­ste Ort ist Stare Łyso­górki (Liet­ze­gö­ricke), weit vor 1753, späte­stens im 13. Jahr­hun­dert gegrün­det und nun oft auch als Alt Liet­ze­gö­ricke bezeich­net. Der Ort gehört zur Gmina Miesz­ko­wice (deutsch: Bärwalde in der Neumark, kaschu­bisch: Berwôłd). Hier verstar­ben die letz­ten Aska­nier 1319 und 1320, womit deren Geschlecht erlosch.

Kurz vor Errei­chen der Orts­ein­fahrt geht eine Brücke über die Słubia (deutsch: Schlibbe oder Schlaube), sie fließt zwischen Straße und Oder fast bis nach Siekierki (Zäcke­ritz) durch den Cedy­n­ski Park Krajobra­zowy (Zehde­ner Land­schafts­schutz­park). Ein unend­lich  schö­nes Feucht­ge­biet tut sich auf, in dem ich Gänse jagende Fisch­ad­ler sah.

Hinter Siekierki (Zäcke­ritz) bei Klępicz (Klem­zow) kreuzt sich die Tour mit dem von Deutsch­land über die Euro­pa­brücke Neurüd­nitz und Siekierki kommen­den Radweg. Es handelt sich hier um den wirk­lich gut ausge­bau­ten Radweg 20 Pl (Trasa Poje­zierzy Zachod­nich), er führt von der Grenze zu Deutsch­land 337 km weit nach Miastko (Rummels­burg in Pommern).

 

Die frühere 338 m lange Eisen­bahn­brücke ist nunmehr für Fußgän­ger – bitte vorsich­tig und nicht zu schnell radeln – und Radfahrer(inne)n restau­riert worden.
Auf der polni­schen Seite stehen viele Sitz­ge­le­gen­hei­ten und in aller Ruhe kann man die Wasser­vö­gel beob­ach­ten oder auch einfach nur schauen und träu­men. Hier ist ein STOPP ange­sagt, es ist der schön­ste Grenz­über­gang.

Das letzte Stück radle ich entlang des Küstri­ner Polders, einem ganz wesent­li­chen Teil des Inter­na­tio­nal­parks Unte­res Oder­tal, ein großes Feucht­ge­biet tut sich mir auf. Der west­lich­ste Punkt Polens wird in Stary Kostrzy­nek (Altkü­strin­chen) erreicht, einem ganz klei­nen Dorf mit heute nur noch 100 Einwoh­nern, in dem dennoch ein klei­nes Restau­rant direkt am Schilf­gür­tel geöff­net hat. Nach 2 km gelangt man zur Grenz­über­gangs­stelle von Osinów Dolny (Nieder­wut­zen) nach Hohen­wut­zen, wo ich nur jedem von einer Einkehr in die dortige Gastro­no­mie abra­ten kann.

Nach der Durch­fahrt durch  die Grenz­stadt Hohen­wut­zen gelange ich an die Alte Oder, mit ihr wird die Euro­päi­sche Wasser­straße 70 erreicht. Vom Rhein-Maas-Delta soll das Euro­päi­sche Wasser­stra­ßen­netz durch 5 Staa­ten bis nach Klai­peda (Memel) und an Tscher­no­byl vorbei bis nach Odessa führen sowie mit der Donau verbun­den werden. Es ist wegen der Kosten, des fehlen­den Bedarfs, der Unver­träg­lich­keit für die Umwelt und für die mensch­li­che Gesund­heit sehr umstrit­ten, auch in den Gremien der EU.

Der Odere-Havel-Kanal zwischen Nieder­fi­now und Hohen­saa­ten ist mehr als eine einfa­che Verbin­dung, hier tref­fen sich nämlich der Oder-Havel-Kanal mit der Alten Oder und der begra­dig­ten Oder und sie flie­ßen weiter sowohl im Hohen­saa­ten-Fried­richs­tha­ler Wasser­straße als auch in der Oder und haben alle unter­schied­li­che Wasser­stände. Mit einer klei­nen Karte erläu­tere ich den Zusam­men­hang der Hohen­saa­ten-Fried­richs­tha­ler Wasser­straße mit dem Oder-Havel-Kanal und dem Schiffs­he­be­werk Nieder­fi­now.

Für mich folgt jetzt eine der schön­sten Strecken an der Alten Oder weiter bis nach Oder­berg. Gerade die Fluss­säume wecken die Phan­ta­sie, wie das einst mal war. Seit der Mittel­stein­zeit leben Menschen in Oder­berg. Wenn ich Zeit habe, schaue ich in das Binnen­schiff­fahrts-Museum. Der Ort zieht sich an den Stra­ßen entlang, ich radle weiter zu einer Ruine mit zwei Geschich­ten, man sieht fast nichts und das, was man nicht sieht, hat mich beson­ders zum Nach­den­ken ange­regt.

Weiter geht es entlang der Alten Oder bis nach Bralitz, wo diese und 2 km später die Alte Finow über­quert werden und die rest­li­che Route durch das Natur­schutz­ge­biet Niederoder­bruch bis zum Schiffs­he­be­werk Nieder­fi­now führt. Das ist der west­li­che Punkt von dem System Hohen­saa­ten-Fried­richs­tha­ler Wasser­straße und Schiffs­he­be­werk Nieder­fi­now. Genauer gesagt stehen dort zwei: die alte Stahl­kon­struk­tion, das älte­ste noch in Betrieb befind­li­che Schiffs­he­be­werk Deutsch­lands und das neue aus Beton. Letz­te­res ist sicher auch eine Geschmacks­frage, aber keine ökolo­gi­sche Frage, Beton ist äußerst proble­ma­tisch.
Schluss­end­lich sind es noch 2,5 km bis zum Bahn­hof.

Die näch­sten Touren:

Anste­hende Veran­stal­tun­gen

Wer über geplante Touren infor­miert werden möchte, melde sich bitte bei info(at)radtouren.info an. Die Anschrif­ten werden nicht weiter­ge­reicht und es erfol­gen ausschließ­lich Infor­ma­tio­nen über geplante Fahr­rad­tou­ren.

Krimi als Reise­füh­rer

“Die Glei­chung des Lebens” von Norman Ohler ist nicht nur ein Krimi, sondern auch ein Histo­ri­en­ro­man und eigent­lich viel mehr, eine inten­siv recher­chierte Darstel­lung der gesell­schaft­li­chen Abläufe bei der Trocken­le­gung des Oder­bruchs, mithin ein Sach­buch und dazu äußerst unter­halt­sam.

Wer wusste schon, dass Preu­ßens größ­ter Außen­han­dels­po­sten die Fische­rei­pro­dukte des Oder­bruchs waren?  Und warum wurde das Bruch dann in Acker­land umge­wan­delt?

ISBN 978–3‑462–05285‑5

Fähre nach Gozdo­wice

Die einzige Fähre zwischen Polen und Deutsch­land ist ein Schau­fel­rad­damp­fer. Ihr Name “Bez Granic” (ohne Gren­zen) könnte auch als Auftrag an die beiden Länder gese­hen werden.

Die Fähre verkehrt zwischen April und Septem­ber. Sie setzt 10 Minu­ten nach der vollen Stunde über. Und nun ein klei­ner

Tipp

Wenn ich mich vorne an dem weißen Strich für die Autos hinstelle, kommt die Fähre auch zwischen­zeit­lich und ich muss nicht bis zu einer vollen Stunde warten.

Museum des Andenkens an die Pioniere
Museum des Andenkens an die Pioniere

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