Panoramablick

Geschichte im Grune­wald

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Die Radtour geht vom Urstrom­tal der Spree entlang der Ruhle­be­ner Fließ­wiese über eine Rand­mo­räne der letz­ten Eiszeit, den Murel­len­ber­gen und der Murel­len­schlucht, dem Wall­berg von Schild­horn und dem Höhen­rücken des Grune­walds.

Die Fahr­rad­tour ist nicht alltäg­lich, sie hat ledig­lich eine Länge von 16 km und ich halte an fünf Orten an. Es sind Orte mit einem beson­de­ren Bezug zur Geschichte der Neuzeit. Auch wenn diese Orte ein wenig aus dem Blick­feld gera­ten sind, ich messe ihnen eine grund­sätz­li­che Bedeu­tung bei und werde mich um zurück­hal­tende Kommen­tie­rung bemü­hen.
Es handelt sich um den Auswan­de­rer­bahn­hof Ruhle­ben, die Murel­len­schlucht und den Schan­zen­wald, den Jüdi­schen Fried­hof Heer­straße mit dem Grab von Heinz Galin­ski, um die neuzeit­li­che Schild­horn-Legende über den mittel­al­ter­li­chen Jaxa von Köpe­nick sowie um den „Selbst­mör­der­fried­hof“ mit Gräbern zaren­treuer Russen und dem Nicos von Velvet Under­ground.

Die Fahr­rad­tour ist auf dem Routen­pla­ner komoot aufge­zeich­net, der kosten­frei genutzt werden kann. Sie beginnt am S‑Bhf. Stre­sow und endet im Ökowerk.

Start­punkt der Tour ist der S‑Bhf. Stre­sow, am besten der Nord­ost­aus­gang. Auf der “Frei­heit”, so heißt die Straße, geht es einen halben Kilo­me­ter nach Osten, nach der Kreu­zung Pichelswerderstr./Am Schlan­gen­gra­ben gleich näch­ste Indu­strie­ein­fahrt hinein bis zum Werks­tor. U.a. hat der Voll­wert-Cate­rer “Luna” dort seinen Sitz.

Eigent­lich ist nichts zu sehen und damit fängt die Geschichte in ihrem Kern an: der Auswan­de­rer­bahn­hof Ruhle­ben.

Die Frei­heit ist werk­tags mit Gewer­be­ver­kehr stark befah­ren und hat kaum Fußgän­ger, ggf. radle ich auf dem Bürger­steig weiter.

Wenn ich dann die Char­lot­ten­bur­ger Chaus­see gequert habe, sind die verkehrs­rei­chen Strecken­teile been­det. Ich gelange zu der Ruhle­be­ner Fließ­wiese. Damit errei­che ich die Nord­kante des Teltow, der das Berli­ner Urstrom­tal der Spree von Süden begren­zen­den Grund­mo­räne. Ich radle sie vornehm­lich am Rand entlang der Havel, wo sie eine Stauch-/End­mo­räne bildet, diese ist ein wenig hüge­li­ger.

Die Ruhle­be­ner Fließ­wiese ist eine ehema­lige Schmelz­was­ser­rinne aus der Weich­sel­eis­zeit, die nach Norden in die Spree wässerte und ist nun ein Verlan­dungs­moor. In dieser schö­nen Land­schaft kommen Schwarz­erlen, Echte Eschen, sowie Teich­r­alle und die von mir so gelieb­ten Kammmol­che und Knob­lauchs­krö­ten vor. Bis in die 50er waren die Wiesen Vieh­weide für Ziegen und Fläche für Obst- und Acker­bau.

Die Schmelz­was­ser­rinne der Fließ­wiese ist das nörd­li­che Ende einer eiszeit­li­chen Toteis­rinne, numehr das Trocken­tal der Murel­len­schlucht. Es ist eine markante und sehr schöne Land­schaft mit den Murel­len­ber­gen und der Schlucht (Stauch-/End­mo­räne). Seit 1840 wurde dieses Wald­stück 150 Jahre lang mili­tä­risch genutzt und war zum Kriegs­ende Hinrich­tungs­stätte für Deser­teure. Darauf weist die groß­flä­chige Instal­la­tion Murel­len­schlucht und Schan­zen­wald als Denk­zei­chen hin, deren Errich­tung Zeug­nis ablegt, wie schwer es war, nach der Nieder­lage des natio­nal­so­zia­li­sti­schen Deutsch­lands sich des Unrechts zu erin­nern.

Bei der Weiter­fahrt in Rich­tung Pichels­berg mache ich noch einen kurzen Abste­cher zum recht stei­len Südhang des Schan­zen­walds. Er bietet einen Lebens­raum für an Trocken­heit und Wärme ange­pass­ten Pflan­zen- und Tier­welt. Fast einhun­dert flie­gende Insek­ten­ar­ten kommen hier vor, insbes. 11 Schmet­ter­lings­ar­ten und vor allem viele Boden brütende Bienen- und Wespen­ar­ten. Zu den Pfle­ge­maß­nah­men gehö­ren die regel­mä­ßige Mahd, oft mit Scha­fen.

Auf dem Weg zur näch­sten Station muss ich die Heer­straße queren, am besten beim ampel­ge­re­gel­ten Über­weg. Gleich danach ist der Eingang in den Jüdi­schen Fried­hof Heer­straße, die Herren benö­ti­gen eine ange­mes­sene Kopf­be­deckung.

Der Jüdi­sche Fried­hof wurde 1955 einge­weiht. Die Gedenk­stätte für die jüdi­schen Opfer wurde mit den Stei­nen der zerstör­ten Synagoge in der Fasa­nen­str. 2 errich­tet.

Auf das Grab von Heinz Galin­ski erfolg­ten 1998 und 2002 Bomben­an­schläge. Die Täter blie­ben unbe­kannt. Die Toten­ruhe ist für Juden – wie auch für Muslime – ein sehr hohes Gut. Und so hat Ignatz Bubis, Vorsit­zen­der des Zentral­rats der Juden, entge­gen seinem origi­nä­ren Inter­esse sich in Israel und nicht in Deutsch­land beer­di­gen lassen, damit seinem Grab nicht ähnli­ches wider­fährt wie dem Galinskis.

Die bishe­ri­gen drei Statio­nen machen mich glei­cher­ma­ßen nach­denk­lich wie erregt. Doch nun geht es weiter durch den Grune­wald zu zwei ganz anders­ar­ti­gen Statio­nen.

Es wird ein wenig bergig. Zuhächst gelange ich nach Schild­horn, einem eiszeit­li­chen Wall­berg mit stei­len Hängen, paral­le­len Rändern und schma­ler Krone, Os genannt, und dann zum Kames genann­ten Höhen­rücken, den Havel­ber­gen. Wie Os und Kames sich bilde­ten, wird geson­dert auf der Seite Eiszeit und Glaziale Serie darge­stellt. Ich finde es beein­druckend, wie mit Hilfe einer verglei­chen­den Geogra­phie Skan­di­na­vi­ens, Schott­lands und Grön­lands geschluss­fol­gert werden kann, wie in Deutsch­land diese Berge mal entstan­den sind.

Schild­horn ist eine große Halb­in­sel am nörd­li­chen Fuß der Havel­berge, die in die Havel hinein­ragt. Das Ufer ist durch­gän­gig befahr­bar und sollte nicht so schnell passiert werden. Ich habe tags­über trotz Bade­be­triebs Biber beob­ach­ten können, die dort in Ufer­höh­len hausen.
Auf der Insel steht ein Denk­mal zur Bekeh­rung und. Taufe von Jacza von Köpe­nick und darum geht es auch, um ihn und die Schild­horn­le­gende, dem Grün­dung­my­thos der Mark Bran­den­burg.

Auf dem folgen­den kurzen Stück Havel­chaus­see radle ich bei der Quali­tät des kombi­nier­ten Fußgän­ger- und Radwegs auf der Fahr­bahn. Links abbie­gend verläuft der letzte Abschnitt der Tour auf dem zum Ökowerk und dann zum S‑Bhf. Grune­wald führen­den Schild­horn­weg.

Gleich am Anfang steht ein auf einen Fried­hof hinwei­sen­der Wegwei­ser. Er weist auf den “Fried­hof Grune­wald-Forst” hin, unter Selbstsmör­der­fried­hof gemein­hin bekannt. Dieser wurde 1878 von der Forst­ver­wal­tung ange­legt. Immer wieder hatten sich Menschen selbst getö­tet, indem sie von der Stößen­see­brücke spran­gen. Ihre Leich­name spülte die Havel­strö­mung an das Ufer. Als Selbst­ge­tö­tete wurden sie nicht auf den christ­li­chen Fried­hö­fen der Stadt beigesetzt, da sie eine Todsünde began­gen hatten, und der Förster musste sich darum kümmern, wie er den Leich­nam unter die Erde bekam — so kam es zur Errich­tung des Fried­hofs und dieser zu seinem Namen.

Das sprach sich auch in der weite­ren Umge­bung herum und Ange­hö­rige von Selbt­ge­tö­te­ten baten um Bestat­tung auf diesem Fried­hof. Die 5 großen kyril­lisch beschrif­te­ten Holz­kreuze erin­nern an 5 Zaren­treue, die in der Trauer über die russi­sche Revo­lu­tion zwischen 1917 und 1919 sich das Leben nahmen.

Anson­sten ist es ein übli­cher staat­li­cher Fried­hof, aller­dings mit einem unge­wöhn­li­chen Grab, dem von Nico. Gemein­hin wird sie als Front­frau von Velvet Under­ground mit dem Hinweis auf das Bana­nen­al­bum sowie als Muse von Andy Whar­hol apostro­phiert, das ist nicht ganz zutref­fend, sehr männer­zen­triert und vor allem nur ein klit­ze­klei­ner Teil ihres Lebens und ihres Schaf­fens. Sie war eine starke Frau, Musi­ke­rin, vor allem aber eine große Song­wri­te­rin und managte sich selber, unab­hän­gig von Männern — aus diesen Grün­den und wegen der Bigot­te­rie in der Bundes­re­pu­blik, die in ihrer Fami­li­en­ge­schichte so deut­lich wird, suche ich immer wieder ihr Grab auf.

isRuh­le­be­ner Fließ­wiese

Ruhle­be­ner Fließ­wiese

Ein Lese­tipp, eher Bilder­tipp:

Uwe Gerber hat bei seinem „Lauf­treff Grune­wald“ ab 2005 Lauf­treff-Foto­gra­fien in Bezie­hung zu histo­ri­schen Post­kar­ten und Land­kar­ten sowie später auch zu histo­ri­schen Wander­füh­rern gesetzt.

So beschreibt er die größte im Inter­net publi­zierte Foto­samm­lung des Grune­walds, ein Under­state­ment.

Gerber hat nicht nur gesam­melt und publi­ziert, er kommen­tiert auch und stellt strit­tige Fragen, z.B. zum Jaczo-Turm oder, wo das Wasser vom Bars­see blieb.

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